Was ist Gemeinwohlökonomie

22.11.2021: Wie wollen wir in Zukunft wirtschaften?

Was ist Gemeinwohlökonomie

Was ist Gemeinwohlökonomie? Dieser Frage hat sich Stefan Mühlenhoff in der Ausgabe 1/2021 des Rotkehlchens gewidmet:

Halten Sie unser aktuelles Wirtschaftssystem für sozial gerecht? Wie sieht es mit der Verteilung der Einkommen und Vermögen aus? Einer kürzlich von Oxfam durchgeführten repräsentativen Umfrage zufolge haben lediglich 21 Prozent der Menschen in Deutschland auf die erste Frage mit Ja geantwortet. Eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen konnten sogar nur 13 Prozent feststellen. Falls Sie nicht zu dieser Minderheit gehören, so möchten wir Ihnen an dieser Stelle eine mögliche Alternative präsentieren, die seit einigen Jahren immer größere Aufmerksamkeit auf sich zieht: Die Gemeinwohlökonomie.

Ausgangspunkt der Gemeinwohlökonomie ist die einfache Frage nach dem Zweck des Wirtschaftens. Geld verdienen, so könnte eine naheliegende Antwort lauten. Hierin jedoch liegt für Vertreter:Innen der Gemeinwohlökonomie der zentrale Denkfehler (und eine mögliche Erklärung für das Antwortverhalten der eingangs erwähnten Frage). Bereits Aristoteles unterschied in seinen Schriften zwischen der Ökonomik, welche das Wirtschaften mit dem Ziel der allgemeinen Bedürfnisbefriedigung beschreibt und der Chrematistik. Letztgenannte zielt allein auf die Maximierung persönlichen Reichtums ab und ist Aristoteles zufolge abzulehnen. Schaut man sich heutige gängige Maße für wirtschaftlichen Erfolg an, so zeigt sich jedoch, dass eher die letztgenannte Wirtschaftsweise abgebildet wird: Für Unternehmen wird die Erwirtschaftung eines monetären Gewinns als Ziel gesetzt und für Volkswirtschaften wird die Steigerung des monetär gemessenen Bruttoinlandsprodukts als Ziel definiert.

Möchte man diesen Zustand ändern, so müssten dem Konzept der Gemeinwohlökonomie zufolge zunächst die Ziele angepasst werden: Statt Gewinnmaximierung soll eine Maximierung des Gemeinwohls erfolgen. Geld soll nicht als Einheit zur Messung wirtschaftlichen Erfolgs genutzt werden, sondern lediglich als Werkzeug, welches beim Funktionieren der Wirtschaft hilft. Dieser geänderten Zielvorgabe zufolge müssten Unternehmen nicht länger eine Finanzbilanz als zentrales Instrument zur Messung ihrer Aktivitäten erstellen, sondern eine Gemeinwohlbilanz. Diese würde nicht den monetären Gewinn messen, sondern Ziele wie Umweltverträglichkeit der Produktion, Arbeitsbedingungen und andere Kennwerte. Die bisher dominierende Finanzbilanz wäre lediglich eine Nebenbilanz zur Gemeinwohlbilanz.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Wer oder was kann Werte des Gemeinwohls definieren und wie kann ihre Erreichung überprüft werden? Zur Definition der Ziele schlagen Vertreter:Innen der Gemeinwohlökonomie einen demokratischen Prozess vor, in dem unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern die Ziele und Kennzahlen des gemeinsamen Wirtschaftens erarbeitet werden. Anschließend werden Unternehmen dazu verpflichtet, jährlich über diese Kennzahlen Auskunft zu geben. Überprüft werden sollen diese Gemeinwohlbilanzen durch externe Gutachter, ähnlich der heute gängigen unabhängigen Bilanzprüfungen.

Trotz dieser veränderten Ausrichtung besteht das Konzept im Kern aus einer Marktwirtschaft. Die Anreize zur Erreichung der Gemeinwohlziele sollen über den Markt erbracht werden. So sollen Unternehmen mit einer positiveren Gemeinwohlbilanz steuerliche Vorteile genießen und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt berücksichtigt werden. Auch für Verbraucher soll so eine höhere Transparenz geschaffen werden und diese soll bei der freien Produktauswahl der am Markt angebotenen Güter behilflich sein. Die Mechanismen des Marktes sollen also weiterhin genutzt werden, jedoch in einer Weise umgestaltet, dass sie nicht in erster Linie der Erzeugung monetärer Gewinne, sondern der Steigerung des Gemeinwohls dienen. Zur Verteilung der Einkommen sollen Ober- und Untergrenzen festgelegt werden. Die Obergrenze könnte beispielsweise den 10-fachen (oder 50-fachen oder x-fachen) Wert des Mindestlohns betragen und würde wie die anderen Werte der Gemeinwohlökonomie in einem demokratischen Prozess ausgehandelt. Durch diese Veränderung in der Art des Wirtschaftens soll die Wirtschaft sozial gerechter und die Unterschiede in der Verteilung der Einkommen und Vermögen im Rahmen gehalten werden. Somit könnte das Konzept also Antworten auf die eingangs erwähnten Probleme der sozialen Gerechtigkeit der Wirtschaft sowie der Verteilung der Einkommen liefern.

Soweit die Theorie. Wie sieht es aber in der Praxis aus? Wie bereits erwähnt hat das Konzept der Gemeinwohlökonomie in den vergangenen Jahren immer weitere Kreise geschlagen. So hat sich beispielsweise die spanische Region Valencia 2017 zu den Zielen der Gemeinwohlökonomie bekannt und setzt die Prinzipien des Gemeinwohls Stück für Stück in die Praxis um. Verantwortlich dafür ist ein früherer Börsenmakler und Chef der Börse von Valencia. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass Aufträge der Regionalregierung nur noch an Unternehmen vergeben werden, welche sich zur Einhaltung festgelegter Gemeinwohlkriterien verpflichten. Daneben gibt es auch in Deutschland immer mehr Gemeinden, welche ihr Handeln nach Kriterien der Gemeinwohlökonomie bilanzieren lassen und eine Verbesserung ihrer Gemeinwohlbilanz anstreben. Ein Beispiel aus der Region ist die Gemeinde Steinheim im Kreis Höxter, welche seit 2019 nach Gemeinwohlkriterien bilanziert und arbeitet. Gemeinsam mit der Fachhochschule Bielefeld hat die Stadt ein auf den kommunalen Bereich anwendbares Modell zur Gemeinwohlbilanzierung entworfen. Auch immer mehr Unternehmen veröffentlichen eine Gemeinwohlbilanz. An der Fachhochschule Bremen gibt es inzwischen sogar einen eigens auf Gemeinwohlökonomie fokussierten Studiengang.

Wir finden: Auch für Hövelhof kann eine Bilanzierung des gemeindlichen Handelns nach den Kriterien des Gemeinwohls eine gute Möglichkeit sein, um Handlungsfelder und Maßnahmen zu ermitteln, auf denen kommunalpolitischer Handlungsbedarf besteht.

Foto von der Cytonn Photography auf Unsplash.